Der Kenner unterscheidet auf den ersten Blick - Handformen, Merkmale des Gesichts, Bewegungssymbole, Satzzeichen ....

 

Warum kann man bei der GebärdenSchrift überhaupt von einer "Schrift" sprechen?

Welche Symbole finden Anwendung?

 

Wie viele Symbole gibt es eigentlich in der GebärdenSchrift ?

Gibt es eine Ordnung , die eine Orientierung erleichtert ?

In letzter Zeit werden solche Fragen häufiger an mich herangetragen. Ich möchte versuchen, ein paar Hinweise zu diesen Themen zu geben. Tatsächlich gewinnt man nach Berücksichtigung dieser Informationen einen ganz anderen Zugang zu diesem wunderbaren Schriftsystem.

  verstehen

Ein Vergleich soll am Anfang das Verstehen erleichtern.

Es gibt andere Notationsformen, die von kleinsten Einheiten ausgehen. Durch immer neue Abwandlungen und Kombinationen dieser kleinsten Elemente erhält man eine beliebige Zahl von eigenständigen, bedeutungsvollen Zeichen.

 ABCDEFGHIJKLMNOPQRSTUVWXYZ,;:.-?!

 abcdefghijklmnopqrstuvwxyz

 

Die lateinische Schrift hat als kleinstes Element eine Anzahl von Symbolen . Diese Symbole - die Buchstaben, Zahlen und Satzzeichen - lassen sich in immer neuen Kombinationen zu neuen Wörtern, Sätzen, Fragen oder ganzen Texten zusammenstellen. Mit diesen Buchstaben können wir deutsche, englische, französiche, amerikanische und andere Texte schreiben. Erst die Kenntnis der jeweiligen Landessprache ermöglicht es uns jedoch, die zum Ausdruck gebrachten Ideen nachvollziehen zu können. Obwohl ein Leser also durchaus verstehbar ein finnisches Wort vorlesen kann, bedeutet das nicht, dass er auch weiß, was dieses Wort bedeutet, wenn er die finnische Sprache nicht beherrscht. Andererseits - und das ist doch witzig - könnte ein finnischer Analphabet dieses laut vorgetragene Wort verstehen, weil dieser akustische Eindruck in seinem vertrauten Sprachsystem eine ganz bestimmte Bedeutung vermittelt.


(Exkurs: Als Angeline , Anu und ich an der Grundausstattung für das finnische GebärdenSchrift-Wörterbuch arbeiteten, amusierten wir uns immer wieder, wie toll wir die finnischen Wörter lesen können, ohne auch nur einen Schimmer von der Bedeutung zu haben.

 

Learning Is Fun : Stefan, Anu und Angeline gebärden "Finnland"

 

Anu hörte sich das gesprochene Wort an, lieferte die deutschsprachige Übersetzung, die wir dann zu dem entsprechenden GebärdenSchrift-Zeichen schreiben konnten. So konnten wir ganz nebenbei einige wenige Sprachbrocken aus der finnischen Laut - und Gebärdensprache aufschnappen - und in unserer "suomi.dic und suomi.din " - Datenbank sicher verstauen !

Wir erarbeiten die Grundlagen für das finnische SW -Dictionary


 

Ähnlich verhält es sich bei den Gebärdensprachen der Welt. Viele Laien glauben zunächst, die Gebärdensprache der Gehörlosen sei international einheitlich. Das ist nicht der Fall. Selbst in jedem Land lassen sich sogar noch verschiedene Dialekte finden. Zugehörigkeit zu einer bestimmten Region, Alters- oder Bildungsgruppe kann durchaus zu einer unterschiedlichen Ausprägung des individuellen Gebärdensprachdialekts führen. Diese für viele hörende Gebärdensprachlerner zunächst iritierende Vielfalt stößt oftmals auf Ablehung oder läßt ein starkes Bedürfnis nach Vereinheitlichung der Gebärdensprache entstehen. Deutlich muss hier jedoch herausgestellt werden, dass die gehörlosen Gebärdensprachbenutzer selbst einen völlig anderen Ansatz vertreten. Erstaunlich ist auch, wie im persönlichen Kontakt von Vertretern unterschiedlicher Dialektvertreter verhältnismäßig reibungslos eine "Eichung" - (gegenseitiges Verstehen der benutzten Vokabeln) möglich wird.

Unabhängig vom Kontext sind viele Einzelgebärden also kaum interpretierbar.

 Wenn man jetzt an die Aufgabe geht , Gebärdensprache schriftlich festhalten zu wollen, so muss man vorher verstanden haben, was die sinngebenden Parameter einer bestimmten Gebärde überhaupt ausmachen. Welche Abweichungen in der Ausführungen bewegen sich noch im Toleranzbereich ? Welche Abweichungen führen bereits zu Bedeutungsunterschieden.

Übertragen auf die geschriebene Lautsprache kennen wir solche minimalen Abweichungen nur zu gut: Maus - Laus - Haus -

Eis - Ei - Reis - eins -

Für die Deutsche Gebärdensprache (DGS) lassen sich ebenfalls Kriterien benennen, die bei der Ausführung ( und deshalb bei der Verschriftlichung) eine besondere Beachtung verdienen.

Diese sogenannten Parameter (Handform, Handstellung, Ausführungsstelle, Bewegungsrichtung, Bewegungsdynamik , mimische Begleitung, Mundbild,Blickrichtung ... ) müssen bei schriftlichen Aufzeichnungen entsprechend exakt wiedergegeben werden können.

 Das Faszinierende - und darin liegt wahrscheinlich zugleich das Geheimnis des Erfolges - besteht nun darin, dass Frau Valerie Sutton solchen linguistischen Kategorien zunächst keine Beachtung geschenkt hat. Ihr Ziel war es eben nicht - und das muss man zunächst genau verstehen - Gebärdensprachen zu notieren. Ihr ging es - und das hat sich bis heute nicht geändert - um die schriftliche Aufzeichnung von Bewegungen im Allgemeinen. Für sie spielt es von daher keine Rolle, ob es sich bei der beschriebenen Bewegung um eine physiotherapeutische Maßnahme, eine Folge von Tanzschritten, ein poetisches Ausdrucksmittel oder um die Bewegungsabfolge beim Karate handelt.

 

(vgl. www.dancewriting.org)

 

Sie geht sogar noch weiter und stellt fest, dass es sich nicht einmal um menschliche Bewegungen handeln muss. Ebenso könnte es ein Fahrstuhl , ein Riesenrad oder eine Heuschrecke sein, deren beobachtbare Bewegungen sie mit ihrer Schrift festhalten kann.

"Geschafft !???"

(Wenn Sie sehen möchten, wie die Kugel in den Kasten rollt, klicken Sie bitte auf "reload" bzw. "Aktualisieren".)

 

 

 

Die exakte Flugbahn des Haares läßt sich physikalisch natürlich viel exakter beschreiben. In diesem Fall werden die für das Verständnis notwendigen Parameter hinreichend genau abgebildet! ;-)

 

(Die Gestaltung dieser Bildchen  und animierten gifs mit den Symbolen des SignWriter 4.4 hilft enorm, sich mit dem Programm vertraut zu machen. Erst , wenn man die Position der hinterlegten Symbole nicht mehr suchen muss, kann man mit dem zügigen Schreiben beginnen! )

Diese ursprüngliche Unabhängigkeit von vorangestellten sprachwissenschaftlichen Überlegungen ermöglichte es ihr, ein rein visuell orientiertes Schriftsystem zu entwickeln, was augenscheinlich ausgesprochen einfach und schnell vom Leser nachvollzogen werden kann. Die schriftlichen Rückmeldungen aus der ganzen Welt decken sich hier mit meinen Erfahrungen: Selbst kleine Kinder sind in der Lage, die Zuordnung der piktographisch anmutenden GebärdenSchriftzeichen zu erfassen und nach kürzester Unterweisung sinnentnehmend zu erfassen.

 

 

Der erste Eindruck trügt !! Das Männchen schaut Sie nicht an ! Sie sehen durch das Männchen hindurch und stehen hinter ihm. Diese Bildchen machen mit der expressiven Sichtweise vertraut. Das Männchen schaut in seine Handflächen. Es hebt das linke Bein. Es steht beidfüßig. Es hebt das rechte Bein. (von links nach rechts)

 

Ungeachtet der Tatsache, dass das Lesen der GebärdenSchrift so einfach erlernt werden kann, verlangt das eigenständige Schreiben mehr Regelwissen und eine entsprechend gründliche Unterweisung.

 

Zur Vorbereitung einer neuen bahnbrechenden Entwicklung stellt Frau Valerie Sutton in diesen Tagen (2001) eine umfangreiches Archiv aller in ihrem Notationssystem erfassten und zur Anwendung gelangenden Symbole zusammen. Sie nennt die Gesamtübersicht: Suttons Symbolbank.

 

Dabei entspricht ein Symbol in etwa der Bedeutung eines Buchstabens in der Schriftsprache. Aus der Kombination mehrerer Symbole entstehen beliebig viele neue Gebärdenzeichen. Einige einzelne Symbole stellen in einer bestimmten Ausrichtung für sich bereits ein eigenständigis Gebärdenzeichen da (vgl. z.B. Zahlengebärden)

 

Dank der Forschungs- und Entwicklungsaktivitäten des brasilianischen Professors Dr. Antonio Carlos da Rocha Costa (professor of Computer Science at the Universidade Católica de Pelotas in southern Brazil.) - werden wir bald über eine Software verfügen,- SignWriting Markup Language - die ganz neue Chancen bieten soll.

 

Prof. Dr. Antonio Carlos da Rocha Costa erläutert SignWriting in Brasilien

Wer sich dafür interessiert und über einige grundlegende Softwarekenntnisse verfügt, findet hier interessante Informationen dazu:

"Supporting Deaf Sign Languages in Written Form on the Web"

Die neu zu erstellenden Datenbanken sollen das Auffinden von Gebärdenzeichen und ihren lautsprachlichen Entsprechungen ermöglichen, indem man nicht vom Lautsprachbegriff, sondern vom geschriebenen GebärdenSchriftzeichen ausgeht!!!! Das gibt es bis jetzt noch nicht. Bislang haben wir die Möglichkeit, eine Gebärde im Lexikon wiederzufinden, wenn wir die deutschsprachige Entsprechung im Inhaltsverzeichnis aufsuchen. Mehr noch erscheint es verlockend, dass wir bald sogar die Chance bekommen, länderübergreifend Gebärdensprachvergleiche anstellen zu können, wenn zu einem bestimmten Suchbegriff die landesspezifischen Gebärden unterschiedlicher Gebärdensprachen nebeneinander dargestellt werden können.

Um hier ein besseres Verständnis zu erreichen, soll die Systematik der Gebärdensymbolbank hier näher erläutert werden: 

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